Mittwoch, 23. August 2017

Der Besucher

„Ähm, entschuldigen Sie bitte…“

„Was?“

„Ich würde gerne etwas mit Ihnen besprechen.“

„Wo... wo sind sie?“

„Ich bin gleich hier. In Ihrem Kopf.“

„Wie bitte? Sie sind in meinem Kopf?“

„Naja, nicht wirklich – eigentlich ist nur meine Stimme in Ihrem Kopf. So kann ich direkt mit Ihnen reden.“

„Aha. Und was wollen Sie von mir?“

„Naja, ich hätte gerne Ihre Seele.“

„Meine Seele?“

„Ja. Also wenn Sie mir die geben könnten, wäre ich sehr dankbar.“

„Wie jetzt? Einfach so?“

„Ja, warum nicht?“

„Und krieg ich dafür irgendetwas angeboten?“

„Etwas angeboten?“

„Naja, ich dachte, man bekommt so etwas wie Unsterblichkeit oder Macht oder überirdische Attraktivität angeboten und gibt dafür seine Seele weg.“

„Ihr Menschen mögt solche Dinge?“

„Manche schon. Denke ich.“

„Ich fürchte so etwas kann ich leider nicht anbieten.“

„Ich weiß auch nicht, ob ich der Typ wäre, der auf ein solches Angebot eingeht.“

„Hmm, vielleicht könnte ich ja etwas anderes anbieten.“

„Und was?“

„Naja, lassen Sie mich mal nachdenken…“

„Ja?“

„Einen Moment.“

„Und?“

„Ääh, naja, ich fürchte, ich habe da nicht so viele Möglichkeiten. Wären Sie daran interessiert, nie wieder Ihre Nägel lackieren zu müssen?“

„Ich lackiere meine Nägel nicht.“

„Oh, na gut… Wie wäre es mit der Fertigkeit, verschiedene Handcremes an ihrem Geruch zu unterscheiden?“

„Danke, aber ich denke nicht.“

„Hmm, dann fürchte ich kann ich Ihnen leider nichts anbieten.“

„Aha, na immerhin sind sie ehrlich.“

„Wieso sollte ich Sie denn anlügen? Was wäre denn das für ein Anfang einer Geschäftsbeziehung?“

„Ich dachte ja nur, nach den Geschichten die ich so kenne, ist diese Art von Händeln selten von völliger Ehrlichkeit geprägt.“

„Oh, gut. Das ergibt natürlich Sinn. Dann biete ich Ihnen Unsterblichkeit, große Macht und überirdische Attraktivität im Tausch für Ihre Seele. Interessiert?“

„Ach, vielleicht sollten Sie doch lieber bei Ehrlichkeit bleiben. Lügen scheint nicht gerade Ihre Stärke zu sein.“

„Da haben Sie wohl Recht. Danke für den Rat.“

„…“

„Also, was ist jetzt? Machen wir das Geschäft?“

„Bitte? Sie fragen mich ernsthaft, ob ich Ihnen ohne Gegenleistung meine Seele gebe?“

„Naja…“

„Wieso sollte ich denn auf so ein Geschäft eingehen?“

„Sind sie gläubig?“

„Nicht wirklich, wieso?“

„Wissen Sie, was die Seele ist?“

„Naja, ich denke, so etwas wie die Essenz des Menschen, der Geist, die Gefühle…“

„Sie glauben also nicht an die Seele, wissen nicht genau, was sie überhaupt ist und auch nicht, wozu sie gut ist. Woher wissen Sie dann, dass Sie ohne sie nicht besser dran sind?“

„Jetzt werden Sie albern.“

„Nein, nein. Viele Menschen sind sehr zufrieden mit…“

„Halt, halt. Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass Sie bei der Wahrheit bleiben sollten.“

„Oh, richtig. Tut mir leid.“

„Warum wollen Sie denn überhaupt meine Seele?“

„Naja, irgendwas muss ich doch machen. Ich kann doch nicht die ganze Zeit bei meinen Eltern wohnen bleiben.“

„Aber sie sind noch nicht lange in diesem Job, oder?“

„Oh doch, ich… nein – nicht wirklich. Das ist mein erster Tag.“

„Und? Gefällt es Ihnen?“

„Nein, nicht wirklich.“

„Warum machen Sie den Job dann?“

„Oh, mein Vater und mein Großvater waren beide Seelenjäger.“

„Und stolz auf ihren Job?“

„Mein Großvater auf jeden Fall!. Ich glaube mein Papa mag ihn auch nicht wirklich.“

„Und warum machen Sie dann nicht einfach etwas anderes?“

„Was soll ich denn sonst machen?“

„Naja, wofür interessieren Sie sich denn so?“

„Oh, ich mag Musik.“

„Das ist doch schön. Können Sie nicht Muse werden oder so?“

„Muse? Das ist doch was für Mädchen!“

„Also bitte – wir sind im 21. Jahrhundert. Da gibt es doch auch eine ganze Reihe weiblicher Künstler, die inspiriert werden wollen.“

„Und dann soll ich mich um Girlgroups kümmern?“

„Das wäre nicht so Ihr Ding?“

„Nee…“

„Naja, aber es gibt ja auch männliche Künstler, die vielleicht ganz gerne von…“

„Ich soll eine schwule Muse werden?“

„Ganz so hab’ ich das jetzt nicht…“

„Dann könnte ich solche Leute wie Freddy Mercury, Elton John oder George Michael inspirieren. Vielleicht manchmal sogar Robbie…“

„Ich denke schon. Freddy und George vielleicht nicht mehr, aber die anderen – warum nicht?“

„Das wäre toll! Aber…“

„Was?“

„Was wird mein Vater dazu sagen, wenn ich das Familienbusiness aufgebe?“

„Naja, vielleicht könnte ich ja mal mit ihm reden.“

„Das würden Sie tun?“

„Ach, wie oft hat man schon die Chance, dafür zu sorgen, dass die Welt mehr Musen als seelenraubende Dämonen bekommt.“

„Klasse! Ich schicke ihn gleich vorbei!“

„Oh, vielleicht könnte er einfach nach der Arbeit kommen. Ich denke ich würde das Gespräch gerne rein privat halten.“

„Ah, ja. Klar. Werde ich ihm ausrichten. Und danke, vielen, vielen Dank!“

„Ach, und noch etwas.“

„Ja?“

„Wenn Sie den Job bekommen, schicken Sie mir doch mal eine Kollegin vorbei.“

„Natürlich! Wird gemacht.“

„Danke. Zur Zeit fallen mir nämlich wirklich nur ganz skurrile Sachen ein.“

05.02.2007

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